Polizeigewalt: Interview zur Polizeigewalt mit Amnesty Deutschland
Nachdem ich mich hier im Blog schon mit Polizeigewalt allgemein und mit Pressemitteilungen der Polizei beschäftigte, hatte ich auch an Amnesty Deutschland ein paar Fragen zum Thema Polizeigewalt in Deutschland gestellt. In der ersten Frage geht es konkret um das Video, welches in den letzten Wochen im Internet zu sehen war, in den weiteren Fragen geht es dann etwas allgemeiner um Polizeigewalt in Deutschland, was sich schon geändert hat und was sich noch ändern muss und wie ihr euch verhalten solltet, wenn ihr Opfer von Polizeigewalt werdet. Beantwortet wurden die Fragen von Alexander Bosch, Polizeiexperte von Amnesty Deutschland.
Wie ist Ihre Einschätzung zum Polizeieinsatz, der im Video zu sehen ist?
Auf der Grundlage eines geschnittenen Videos können wir den Polizeieinsatz nicht abschließend bewerten. Zur Vorgeschichte des gezeigten Einsatzes liegen uns wiederum nur Aussagen der Polizei vor.
Ursprung dieser Eskalation sei demnach, dass eine Person einen Polizeieinsatz beobachtet und kommentiert hat. Dadurch fühlten sich die PolizistInnen gestört und erteilten dieser Person einen Platzverweis. Dem kam der Adressat nicht nach, woraufhin seine Personalien festgestellt werden sollten. Auf dem Video sieht man, wie die Person den Ort verlassen möchte und dann eingeholt und mit massiver körperlicher Gewalt zu Boden gebracht wird. Inzwischen sind mehrere Anzeigen gegen die Polizisten wegen „Körperverletzung im Amt“ gestellt worden. Diese Vorwurf muss umfassend untersucht werden. Da in Berlin die PolizistInnen inzwischen durch eine Nummer gekennzeichnet sind, sollte es dabei kein Problem sein, die beschuldigten Beamten zu identifizieren. Die für die Verfolgung interner Beamtendelikte zuständige Dienststelle im Landeskriminalamt hat nach Presseberichten inzwischen die Ermittlungen aufgenommen. Einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus, wie ihn Amnesty fordert, gibt es allerdings in Berlin nicht.
Unabhängig von den Klärung der strafrechtlichen Vorwürfe stellt sich die Frage, ob die Polizei in diesem Fall besonnen gehandelt hat: Musste die Person wegen eines Platzverweises zwingend am Gehen gehindert und zu Boden gebracht werden? Und musste dabei diese massive Gewalt angewendet werden? Polizeieinsätze werden zunehmend kritisch beobachtet, kommentiert und dokumentiert. Wieso konnte die Polizei nicht gelassener bleiben, die ursprünglichen Maßnahmen in Ruhe durchführen und sich bei korrekter Arbeit beobachten lassen?
Wie könnten solche Gewaltanwendungen unterbunden werden, oder sich zumindest auf ein annehmbares Maß zurückfahren lassen?
Menschenrechtsbildung muss integraler Bestandteil der Aus- und Weiterbildung der Polizei sein. Dazu gehören auch Antidiskriminierungstrainings sowie die Förderung interkultureller Kompetenz. Polizisten müssen vertraut sein mit den geltenden nationalen und internationalen menschenrechtlichen Standards. Sie müssen sich stets – also auch in sehr schwierigen Situationen – darüber bewusst sein, dass sie in der Ausübung ihres Dienstes an diese Regelungen gebunden sind. Und dass es nicht nur wichtig ist, sondern auch ihre Pflicht, Menschenrechte zu achten, zu wahren und zu schützen. Aus- und Fortbildungen der PolzistInnen sollten daher verstärkt deeskalierende Kommunikation lehren, um durch eine konkrete Vorbereitung auf solche Situationen Eskalationen verhindern zu können.
Wurden die Maßnahmen, die Amnesty vorschlägt, um die Polizeigewalt einzudämmen, in Deutschland schon vollständig umgesetzt? Wie sieht es mit einer externen Beschwerdestelle für Polizeigewalt aus und wie könnte diese genau funktionieren?
Um unrechtmäßiger Gewalt durch die Polizei vorzubeugen, fordert Amnesty International unabhängige Untersuchungsmechanismen – das kann eine externe Beschwerdestelle sein – und eine individuelle Kennzeichnungspflicht in allen Bundesländern. Die Kennzeichnungspflicht gilt inzwischen in Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. In Bremen, Niedersachsen, NRW und Baden-Württemberg ist sie in den Koalitionsverträgen der jeweiligen Landesregierungen vereinbart worden.
Unabhängige Untersuchungsmechanismen, wie sie in anderen Staaten bestehen, hat noch kein deutsches Bundesland eingerichtet. Nur in einigen Bundesländern gibt es kleine Fortschritte: Beispielsweise hat Rheinland-Pfalz einen Polizeibeauftragten ernannt. In Bremen und Niedersachsen wird über Polizeibeschwerdestellen nachgedacht.
Eine externe Beschwerdestelle für Polizeigewalt sollte
- bevollmächtigt sein, alle Vorwürfe schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen einschließlich Todesfälle in Gewahrsam, Tötungsdelikte, Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sowie Rassismus zu ermitteln;
- befugt sein, Anzeigen und Beschwerden von Personen aufzunehmen, aufzuzeichnen und zu ermitteln, sowie das Recht haben, Vorfälle selbstständig und ohne das Vorliegen einer Anzeige zu untersuchen
- über die notwendige Kompetenz und Ausstattung verfügen, Ermittlungen über Menschenrechtsverletzungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen durchzuführen.
Ist Polizeigewalt in Deutschland ein systematisches Problem, oder handelt es sich nur um Einzelfälle?
Jeder Fall von unrechtmäßiger Polizeigewalt ist einer zu viel. Die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen die PolizistInnen wegen Körperverletzung im Amt hat in den vergangenen Jahren nicht zugenommen, sie liegt weiter bei jährlich um die 2 000. Nach unserem Eindruck hat aber in den letzten Jahren die kritische Berichterstattung über Polizeigewalt zugenommen. Wir begrüßen das, da sich notwendige Veränderungen leider nur durch öffentlichen Druck herbeiführen lassen.
Wie sieht es mit der Bestrafung der betreffenden Beamten aus?
In unserem Bericht aus dem Jahr 2010 haben wir Fälle dokumentiert, in denen nicht umfassend gegen Polizisten ermittelt wurde. In anderen Fällen von dokumentierten brutalen Polizeieinsätzen konnten die beschuldigten Beamten nicht ermittelt werden. Das hat sich leider nicht grundlegend geändert. So werden nach wie vor mehr als 95 Prozent der Verfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt eingestellt. Wir gehen davon aus, dass in einem Teil dieser Verfahren nicht umfassend und unabhängig ermittelt wurde. Deshalb ist die Einrichtung von unabhängigen Untersuchungsmechanismen für Vorwürfe gegen die Polizei nach wie vor unabdingbar.
Was sollten Betroffene von Polizeigewalt unbedingt tun?
Betroffene von Polizeigewalt sollten unbedingt:
- Alle Informationen zu dem Vorfall aufschreiben.
- Bei Verletzungen einen Arzt aufsuchen und sich Verletzungen per Attest bescheinigen lassen.
- Feststellen ob gegen Sie eine Strafanzeige erstattet wurde und gegebenenfalls einen Anwalt einschalten.
- Falls Sie Anzeige erstatten wollen, tun Sie dies nicht bei einer Polizeidienststelle, sondern schriftlich bei der Staatsanwaltschaft.
- Gegebenenfalls eine Dienstaufsichtsbeschwerde über einen bestimmten Beamten/Beamtin an den Dienstvorgesetzten richten. (nähere Informationen finden Sie hier: http://www.amnestypolizei.de/sites/default/files/imce/pfds/Opfermerkblatt-mit-Begleitschreiben-2010.pdf)