Mut zur Ungleichheit – Meine Antwort
Karsten Schulze, ein Mitglied der Berliner CDU, hat schon vor etwas längerer Zeit den Artikel „Mut zur Ungleichheit – Wir sind nicht gleich!“ in seinem Blog veröffentlicht. Er fordert, wie es die Überschrift schon andeutet, den Mut zur Ungleichheit und versucht zu zeigen, dass dies der einzig richtige Weg ist. Leider komme ich nicht zur gleichen Einschätzung, weswegen ich meine Meinung dazu nun hier veröffentliche.
„Schüler kommen auf eine Einheitsschule, damit die guten Schüler die schwachen zum Abitur führen. Und sowieso gibt es keine Reichen mehr und ein allgemeiner Mindestlohn ist eingeführt.“
Schon hier fängt mein Problem an, denn gegen eine Einheitsschule bis zur 10.Klasse ist überhaupt nichts einzuwenden. Auf einer solchen Schule können die Schüler maximal die Qualifikation fürs Abitur schaffen, aber nicht das Abitur selbst, was ja eine Hauptaussage in diesem Satz ist. Eine Einheitsschule bis zur 10.Klasse fördert übrigens auch die Ungleichheit der Schüler, denn nicht jeder Schüler hat mit 11 schon erkannt, dass seine Noten wichtig sind, um die Empfehlung für die Realschule oder das Gymnasium zu bekommen. Nicht jeder Schüler hat in der sechsten Klasse dieselbe Reife, dennoch wird in Berlin nach der sechsten Klasse aussortiert. In anderen Bundesländern geschieht das sogar schon nach der vierten Klasse, ohne wirklich zu wissen, welches Potential der Schüler wirklich hat. Wenn also ein Schulsystem fordert, dass alle Schüler gleich sind, dann ist es das jetzige Schulsystem und nicht das Schulsystem, in dem die Schüler bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen.
Auch an Lerngruppen ist überhaupt nichts auszusetzen. Sie fordern von den guten Schülern, dass sie sich noch einmal intensiv mit dem Lernstoff auseinandersetzen, damit diese dann die schlechten Schüler fördern können. Es ist also eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Hinzu kommt, dass starke Schüler nicht in jedem Fach gut sind und schwache Schüler nicht in jedem Fach schlecht. Eine Lerngruppe entwickelt sich also zu einem Tandem, in dem jeder Schüler vom anderen profitiert.
In unserem heutigen System profitieren nur die Schüler, die das Geld haben, sich Nachhilfeunterricht zu leisten. Für viele andere Schüler entsteht hier schon der erste Bruch im Lebenslauf, weil sie eben nicht das machen können, was sie eigentlich wollen. Sie müssen, weil der Familie sonst das Geld fehlt, mit einer Ausbildung anfangen, obwohl sie vielleicht viel lieber noch das Abitur gemacht hätten. Somit zerstört der Kapitalismus Leben und Lebensläufe, weil es hier einen Faktor gibt, der über vieles entscheidet – das Geld. Wer keinen finanziellen Rückhalt in der Familie hat, kann meist seine Lebensträume gar nicht erfüllen. Er wird vom System dazu gezwungen Geld zu verdienen und das System nimmt dabei keine Rücksicht auf die Träume und Wünsche des Individuums. Ein Mensch wird im Kapitalismus gar nicht als Mensch angesehen, sondern als Kapital und Arbeitskraft. Wenn ein Mensch also gleichgemacht wird, dann geschieht das im Kapitalismus.
Freiheit bedeutet nicht, dass ich etwas tun könnte, wenn ich das Geld dazu habe. Freiheit bedeutet, dass ich etwas tun kann, wenn ich es tun möchte. Dazu gehört dann auch, dass ich, wenn ich Vollzeit arbeite, soviel verdiene, um Geld weglegen zu können. Und genau da sind wir beim Mindestlohn. Wenn ich schon dazu gezwungen bin etwas zu tun, was mir gar nicht gefällt, dann sollte mir wenigstens die Perspektive gegeben werden, dass ich irgendwann auf meinen Weg zurückkehren kann.
Diese Perspektive ist vielen Menschen im Niedriglohnsektor nicht gegeben. Sie werden ihr Leben lang arbeiten und dabei nie auf einen grünen Ast kommen. Und sobald sie in Rente gehen, werden diese Menschen nicht einmal das Leben nach der Arbeit genießen können, weil ihnen dazu das Geld fehlt. Abhilfe kann da nur der Mindestlohn schaffen, denn auch wenn unser System darauf aufgebaut ist, möglichst große Profite zu erwirtschaften, sollte die menschliche Lebenszeit einen Mindestwert haben – nichts anderes ist ein solcher Mindestlohn.
Wenn Karsten also fordert, dass jeder Mensch seinen individuellen Weg gehen sollte, dann müssen auch die Grundlagen dazu geschaffen werden. Und diese Grundlagen sind nun einmal Chancengleichheit in der Bildung, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern Geld haben oder nicht. Dazu gehört auch, dass ich von der Arbeit, die ich leiste, auch leben kann. Das ich die Möglichkeit habe am sozialen Leben teilzunehmen. Dass ich mir einen Theaterbesuch leisten kann, wenn ich ein Fan vom Theater bin. Oder das ich ins Kino gehen kann, wenn ich einen Film sehen möchte. Oder eben das ich ins Fußballstadion gehen kann, wenn mein Lieblingsverein spielt.
Dazu gehört auch, dass ich mir Geld zurücklegen kann, damit ich mir meine Träume erfüllen kann – damit ich meinen individuellen Weg gehen kann.
Das ist für viele in unserer Gesellschaft nicht möglich und die einzige Ungleichheit ist der Kontostand des Einzelnen. Die Entfaltung des Individuums ist in unserem kapitalistischen System genauso unmöglich, wie es in Diktaturen der Fall ist – bei uns ist eben das Kapital der Diktator.
Hallo und Danke für den Artikel,
ich habe auf meinem Blog das Buch: „Ökonomie der Ungleichheit“ von Thomas Piketty diskutiert und denke, die fundierte Analyse leistet einen Beitrag zum Thema.
Vielleicht ist das was für Sie und Ihre Leser: https://marius-a-schulz.de/2020/03/12/diskussion-oekonomie-der-ungleichheit/
Grüße,
Marius Schulz.