Streikrecht: Interview mit der FAU Berlin zur Tarifeinheit
Am Mittwoch, dem 02.07.2014, möchte die Bundesregierung ihre Eckpunkte zur Tarifeinheit im Bundestag diskutieren. Diese Tarifeinheit würde das Streikrecht für kleinere Gewerkschaften massiv einschränken. Hierzu habe ich an die FAU Berlin, eine unabhängige Basisgewerkschaft, ein paar Fragen gestellt, die von Andreas Förster, dem stellvertretenden Pressesekretär der FAU Berlin, beantwortet wurden.
Was bedeutet Tarifeinheit überhaupt?
Mit „Tarifeinheit“ ist der Grundsatz gemeint, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten könne. Das bedeutet auch, dass der Aufbau neuer, kämpferischer Gewerkschaften erschwert wird – denn mit dem Tarifvertrag gilt auch die sogenannte Friedenspflicht der alten Gewerkschaft. Klar ist, dass „Tarifeinheit“ unvereinbar ist mit der Koalitions- und Gewerkschaftsfreiheit. Denn Koalitionsfreiheit heißt ja, ich kann mir meine Gewerkschaft aussuchen und kleine Gewerkschaften dürfen nicht diskriminiert werden.
Warum möchte die Bundesregierung, dass nur noch große Gewerkschaften im Betrieb das Recht haben, Tarifverträge zu verhandeln, bzw. warum sollen deren Tarifverträge auch für Beschäftigte aus kleineren Gewerkschaften gelten?
In ihrem Eckpunkte-Papier benennt die Bundesregierung die „Befriedung des Arbeitslebens“ als Sinn und Zweck ihrer Politik. Das Problem ist, dass sie damit eine Friedhofsruhe meint – Deutschland gehört bereits heute zu den streikärmsten Ländern, was sich auch in der Reallohnentwicklung widerspiegelt. Die Regierung will, dass das so bleibt. Sie argumentiert, die Tarifpluralität würde bestehende Tarifverträge „entwerten“, weil sich die Bosse „einer Vielzahl weiterer Forderungen“ ausgesetzt sehen könnten.
Was würde diese Tarifeinheit für das Streikrecht bedeuten?
Aufgrund des besonders restriktiven deutschen Arbeitskampfrechts – Streik nur für Tarifverträge – hat die sogenannte Tarifeinheit auch Auswirkungen auf das Streikrecht: Mit der Unterzeichnung eines Tarifs würde für die gesamte Firma und Belegschaft Friedenspflicht gelten. Das heißt, einzelne Gewerkschaftsfunktionäre hätten (wieder) ein Instrument mehr, um einen Arbeitskampf abzuwürgen.
Was würde diese Tarifeinheit für kleinere Gewerkschaften bedeuten?
Der Handlungsspielraum kleinerer Gewerkschaften würde erheblich eingeschränkt in den Betrieben, in denen andere Gewerkschaften vertreten sind. Hochproblematisch ist das insbesondere für Berufsgewerkschaften etwa bei der Bahn oder in Krankenhäusern. Hochproblematisch ist das auch für FAU-Gewerkschaften, weil der Platzhirsch-Effekt der Tarifeinheit ganz und gar monopolistisch ist.
Was würde diese Tarifeinheit für die ArbeitnehmerInnen bedeuten?
Die Beschäftigten würden in größere Abhängigkeit von bestehenden Gewerkschaftsapparaten geraten. Wenn heute eine Gewerkschaft einen Arbeitskampf gegen den Willen der Basis beendet, kann die kämpferische Belegschaft einer anderen Gewerkschaft beitreten und ihren Kampf fortsetzen – dann gelten am Ende eben zwei Tarife im Betrieb. Eine gesetzliche Vorschrift zur Tarifeinheit würde dieses Potenzial zur Selbstorganisation enorm verringern, ein höchst politischer Eingriff also.
Wie sehen Sie derzeit die Solidarität der Bevölkerung in Bezug auf Arbeitskampf und kleinere Gewerkschaften?
Einer ARD-Umfrage vom April 2014 zufolge lehnen 68 Prozent der Bevölkerung eine gesetzliche Tarifeinheit und eine Einschränkung des Streikrechts ab. Nach meiner Wahrnehmung besteht eine Grundsolidarität für Leute, die kämpfen. Denn fast alle wissen – entweder aus eigenem Erfahren oder aus dem sozialen Umfeld –, was es heißt, im Niedriglohnbereich zu malochen. Wer kämpft, findet Respekt.
Die Fragen beantwortete Andreas Förster, stellv. Pressesekretär der FAU Berlin.