Der Fehltritt des Herrn Gauck?
Joachim Gauck ist bekannt dafür, dass er seine Meinung klar und deutlich formuliert. Dies hat er auch in einem Interview getan, in welchem er Steuerhinterzieher als asozial abstempelte. Die „Welt“ ist der Meinung, dass dies ein Fehltritt von Herrn Gauck war, denn es ist, laut „Welt“, nicht seine Aufgabe, einen Menschen zu verurteilen. Vielmehr hat er dafür zu sorgen, dass ein Sünder nicht aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird.
Doch grenzt Gauck einen Steuerhinterzieher wirklich aus der Gesellschaft aus, wenn er ausspricht, was er über solche Menschen denkt? Grenzt sich nicht ein Steuersünder viel eher selbst aus der Gesellschaft aus, weil er nicht bereit ist, die soziale Verantwortung zu übernehmen, die er mit seinen Steuern übernehmen würde? Ein Hartz4-Empfänger muss auch seine Leistung erbringen, um eine Gegenleistung vom Staat zu erhalten. Er muss versuchen sich in diese Gesellschaft einzubringen, nicht umgedreht. Macht er das nicht, wird er auch aus der Gesellschaft ausgegrenzt, indem ihm die Sozialleistungen gestrichen werden.
Ein Steuersünder hingegen nimmt die Leistung des Staates entgegen, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu vollen – oder eben eine zu geringe Gegenleistung. Ohne Infrastruktur, die der Staat zur Verfügung stellt, könnte ein Unternehmer keine Gewinne machen, bzw. die Gewinne würden deutlich geringer ausfallen. Diese Infrastruktur wird durch die Gesellschaft zur Verfügung gestellt, und wenn man daraus einen Nutzen zieht, sollte man auch zu einer Gegenleistung bereit sein. Ist man das nicht, ist man asozial. Insofern hat Herr Gauck auch recht, wenn er Steuersünder als asozial bezeichnet. Es ist kein Fehltritt, sondern eine deutliche Ansage.
Wenn Hartz4-Empfänger ohne Bedenken aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden dürfen, dann dürfen auch reiche Mitmenschen ausgegrenzt werden, die ihre soziale Aufgabe der Gesellschaft gegenüber nicht annehmen. Es kann nicht sein, dass Menschen, denen die Chance auf eine Teilnahme entzogen wurde, weil die Arbeitsplätze vernichtet wurden, für die sie qualifiziert sind, als asozial bezeichnet werden und Steuersünder nur einen kleinen Klaps bekommen, mit der Bitte, es nie wieder zu tun.
Steuersünder müssen verstehen, dass sie mit ihren nicht gezahlten Steuern ebenso dafür verantwortlich sind, dass in Deutschland Menschen hungern. Dass sie dafür Verantwortung tragen, dass nicht alle Kinder dieselben Chancen in der Bildung haben. Steuersünder müssen verstehen, dass das Geld, welches sie nicht an den Staat überweisen, an anderen Stellen fehlt – dass das fehlende Geld im Extremfall sogar Leben zerstört.
Deswegen darf Gauck sie auch asozial nennen, auch deswegen, weil diese Steuerhinterzieher auch meist dann genügend Geld zum Leben hätten, wenn sie ihre Steuern ehrlich bezahlen würden. Und er darf sie so nennen, weil Steuersünder ihre Verantwortung auf andere Menschen abwälzen.