Die digitale Bildungschance
Ich lese gerade das Buch “Die digitale Bildungsrevolution” von Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt. Es geht im Buch um die Chancen, aber auch um die Risiken, die die Digitalisierung der Bildung mit sich bringt. Dazu gehört auch die Personalisierung der Massenbildung, um auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schüler besser eingehen zu können. Das könnte ein riesiger Schritt hin zur Chancengleichheit sein, aber dazu muss noch ein weiterer Schritt gegangen werden, nämlich die Loslösung vom kapitalistischen Gedankengut.
Was meine ich damit?
Die Bildungsangebote im Internet sind tatsächlich schon relativ günstig. Es gibt Angebote für 10,- Euro, jedoch sind diese 10,- Euro auch schon eine Zugangshürde, die für Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten oder die Hartz4 bekommen, nicht ohne weiteres zu überwinden sind. Und meist geht es hier auch nicht nur um ein Kind, sondern es geht um zwei, drei, vier Kinder, die dieses Angebot nutzen wollen. Dann wären wir bei 10,- Euro pro Kind schon bei 30,- Euro im Monat, die für viele dieser Familien schon eine riesige Belastung sind. Hinzu kommt, dass noch ein passendes Endgerät zur Verfügung stehen muss und natürlich auch der Zugang zum Internet.
Einige werden jetzt sagen, dass das eine wichtige Investition in das Leben der Kinder ist, die eigentlich jeder aufbringen können müsste, aber im Niedriglohnsektor und im Harz4 Bereich ist dies eben meist nicht möglich. Das hat nichts damit zu tun, dass die Eltern ihren Kindern diese Bildungschance nicht ermöglichen wollen, nein, die Eltern können es meist nicht, weil sonst an einer anderen Stelle das Geld fehlt. Zum Beispiel bei der Nahrung, oder bei der Kleidung, die Regelmäßig erneuert werden muss.
Deswegen kann eine wirkliche Chancengleichheit nur dann geschaffen werden, wenn die digitalen Bildungsmöglichkeiten nicht durch private Unternehmen geschaffen werden, die damit nämlich Geld verdienen müssen. Vielmehr sollte die “Bildungsrevolution” durch einen Verein oder eine Genossenschaft angegangen werden, der durch staatliche Gelder, aber unabhängig vom Staat, eine solche Lernumgebung schafft, die auf die individuellen Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen eingeht und so personalisiertes Lernen ermöglicht. Dieses Angebot muss dann allen Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen kostenfrei zur Verfügung stehen, wobei auch eine Infrastruktur geschaffen werden muss, damit auf dieses Angebot auch zugegriffen werden kann.
Sicherlich bieten die neuen Möglichkeiten schon jetzt einem viel größeren Personenkreis den Zugriff auf Nachhilfeangebote, aber damit sollten wir uns nicht zufrieden geben. Die Chancen, welche durch die digitale Bildung geboten werden, müssen so genutzt werden, dass sie diesmal tatsächlich zur Chancengleichheit in der Bildung führen.
Individualisierung braucht Daten
Ein weiterer Grund, warum dieses Lernplattform durch einen vom Staat und der Wirtschaft unabhängigen Verein geführt werden soll, ist der Datenhunger, den eine solche Lernplattform mit sich bringt. Individuelle Bildung braucht viele persönliche Daten einer Person, damit die Angebote wirklich optimal auf die Person zugeschnitten sind, die damit lernen soll. Diesen Daten müssen vor einem Missbrauch durch den Staat oder durch private Unternehmen geschützt werden, was aber nur durch eine Organisationsform gewährleistet wird, die eben unabhängig vom Staat agiert, die aber auch keine Gewinne erwirtschaften muss.
Wie eine solche Lösung aussehen kann, weiß ich allerdings auch noch nicht. Eventuell muss dazu noch der gesetzliche Rahmen angepasst werden, aber die Möglichkeit wirkliche Chancengleichheit in der Bildung zu schaffen, sollte es uns Wert sein, nach einer solchen Lösung zu suchen. Dadurch werden Lehrer und Schulen nicht überflüssig, aber Schulen könnten endlich zu einem Ort werden, an dem Lernen wirklich jedem Spaß macht und der nicht die Neugierde und Lernfreude von Kindern erstickt.