Lob der Panik

Panik  in der menschlichen Gesellschaft ist wie das Verzehren von Fugufisch:  Fisch ist Fisch und schmeckt ähnlich, und auch Fugu unterscheidet sich im Geschmack wahrscheinlich kaum von einer gewöhnlichen Sardine. Was ihn aber so exklusiv und einzigartig  macht, und wofür manche Menschen eine Menge Geld ausgeben, ist die potentielle Gefahr, der Koch könnte sich beim Ausweiden des Fisches vertun, und das letale Gift –  in der Galle des Fisches enthalten – könnte das Fleisch des Tieres erreichen und den sofortigen Tod des Feinschmeckers bedeuten.

Es gab eine glorreiche Zeit, in der die Panik konstant, alltäglich und immer gleich war. Damals trug sie die Züge eines russischen Bären: Grimmige russische Raketen bedrohten unsere westliche Zivilisation, die von freundlichen, zum Abschuss bereiten amerikanischen Atombomben verteidigt wurde. Man wusste genau, warum man in Panik verfallen sollte, und nach dem Super-Gau von Tschernobyl wusste jedes Kind, woran wir alle bald zugrunde gehen würden.

Doch dann irgendwann erschütterte eine Erscheinung unsere Hoffnung auf lang bestehenden, immerwährenden Nervenkitzel: Der russische Bär zeigte sich dem Westen in der reizenden, geistvollen Person der Raissa Gorbatschowa, und für einen Moment blieb unsere Welt still, denn es gab nichts mehr, wovor man sich fürchten konnte. Neue Ideen mussten her.

Politiker, Ökonomen und Medienleute wussten es schon immer: der Mensch braucht Brot und Spiele, und was dem Römer seine Gladiatorenkämpfe in der Arena waren, sind heute die Panikmeldungen aus Fernsehen und Zeitung.

Kann sich jemand noch an die Ozonlöcher erinnern? Das Schicksal der Menschheit war damals schon besiegelt. Durch die Strahlung aus dem Weltall, die nicht mehr durch die wie ein Schweizer Käse durchlöcherten Ozonschichten zurückgehalten werden konnte, sollte jedes Männlein, jedes Weiblein seinen Hautkrebs bekommen und alsbald von der Erdoberfläche verschwinden.

Das Waldsterben bot auch allerlei Projektionsflächen für die gepflegte Panik der saturierten,  gelangweilten, sensationslüsternen westlichen Gesellschaft. Keine Eiche, keine Primel würde die neue mediale Katastrophe überleben. Westeuropa mutierte im Geiste vieler schon zur Wüste. Alle Achtung mit welcher Beharrlichkeit die Botanik ihrem Untergang bislang getrotzt hat. Wir dürfen weiterhin den Geranien beim Blühen zusehen, wer hätte das vor ein paar Jahren noch gedacht?

So kamen und gingen immer neue Schlagzeilen und Berichte von der bevorstehenden Ausrottung der Menschheit und des Unterganges der westlichen Zivilisation. Und nach dem Motto „Nichts ist älter als die Schlagzeile von gestern“, muss immer Neues nachkommen, denn der Zirkus muss täglich Vorstellungen geben, damit das Volk auch bei Laune gehalten werden kann.

Und wie sieht es heute aus? Montag ist Zeit für die islamistische Bedrohung. Ist der freundliche türkische Gemüsehändler verantwortlich dafür, dass bald nur noch einhändige, gesteinigte, verhüllte Frauen bei uns zirkulieren? Selbstverständlich.

Und nicht nur der, sondern auch der mit Falken jagende, Porsche-Sondermodelle sammelnde Scheich wird das Ende der Christenmenschen einläuten.

Dienstag wenden wir uns dem Klima zu: Das mit der nördlichen Hemisphäre als Wüste hatten wir schon, aber jetzt ist Holland überflutet und in Deutschland wachsen Tillandsien und Lianen in den Parks. Schwitzbäder statt Schneezauber zu Weihnachten werden uns versprochen.

Mittwoch ist wieder Zeit für die von Menschen für Menschen  gemachten Katastrophen: Die Krise der Banken wird jede Regierung stürzen, niemand wird jemals wieder einer geregelten Arbeit nachgehen können, niemand jemals wieder ein eigenes Haus besitzen.

Donnerstag sind wir schon im Wochenendstimmung, so ergötzen wir uns an Tsunamis und Erdbeben, die bestimmt die Menschheit dahinraffen werden.

Freitags soll man kein Fleisch essen, lehrt uns der Katechismus, da passt eine Panikmeldung zum Gammelfleisch perfekt.

Am Samstag wollen wir es leicht haben und die Menschheit schonen, daher wählen wir eine Meldung über das Sterben der Arten und die übliche Rodung des Regenwaldes.

Sonntag schließlich widmen wir uns einer der größten Bedrohungen der Menschheit, nämlich dem Raucher. Wir gehen ins Kino und bewundern den allerneuesten Filmcode aus Amerika. Im neuen amerikanischen Film ist der Raucher immer entweder der Böse oder die gescheiterte Existenz oder beides zugleich, und wir lassen uns anschließend auf der Straße anpöbeln, wenn wir eine rauchen. Denn schließlich ist der Raucher für alle im Großen Buch der Pathologie aufgezählten Krankheiten verantwortlich.

So haben wir eine erfüllte Woche voller Panik und Unterhaltung. Der Römer mit seinen mickrigen Gladiatorenkämpfen wäre bestimmt  neidisch auf uns.

So könnten sogar neue Berufszweige entstehen:

Der Panikator zum Beispiel beliefert die Medien mit immer neuen Katastrophenmeldungen rund um den Globus, mit immer neuen Protagonisten, Schauplätzen und Opfern.

Der Panikvermeider hat sein Büro gleich nebenan; er sagt uns, was wir tunlichst machen sollen, damit wenigstens eine Handvoll von uns die nächste unabwendbare Katastrophe überleben wird.

Law-and-Order-Politiker, Börsenspekulanten, Boulevardschreiberlinge und sogar Privatiers mit dem Hang zu einer besonders großkotzigen Form des Masochismus könnten zu den Kunden zählen.

Schwermetalle, große Wellen, kleine Tiere, gelbe Menschen, rote Zahlen: Alles eignet sich als Thema für die nächste Panikattacke auf die Bevölkerung, wenn passend verpackt und vom Experten von Dienst reichlich mit Jägerlatein und Seemannsgarn verziert.

Eins ist sicher: Angesicht der Schreckensnachrichten, die Tag für Tag die Schlagzeilen der Journaille verzieren, versinken die eigenen Alltagsprobleme in die Bedeutungslosigkeit. Wer hat schon das Recht,  über Arbeitslosigkeit, immer teurere medizinische Versorgung oder niedrigere Löhne für mehr Arbeit zu klagen, wenn die gesamte Menschheit akut vom Aussterben bedroht ist? Es wäre  taktlos, mehr Gerechtigkeit, Wohlstand oder Gesundheit zu verlangen, ja geradezu ein Zeugnis von widerlichem Egoismus und Rücksichtslosigkeit.

Wir sollten allen Panikmachern dieser Welt unendlich dankbar dafür sein, dass sie uns zeigen, wie unwichtig die ganze Aufregung um Politik und Misswirtschaft sei. Wir dürfen nie vergessen, dass unser Leben an einem seidenen Faden hängt, und die nächste Katastrophe, das nächste Attentat und das nächste Virus lauern schon an der nächsten Ecke auf uns.

In der Summe muss gesagt werden, dass wir unendlich viel Glück hatten, dass wir noch alle da sind und uns Schreckensgeschichten aus der Vergangenheit erzählen können.

Angeblich gelangen doch Spuren des Fugugiftes ins Fleisch des Fisches, so dass es angenehm auf der Zunge prickelt. Der Feinschmecker genießt und hofft auf ein langes Leben. Lehnen wir uns auch heute entspannt zurück und genießen die Katastrophen, die uns am Leben gelassen haben. Schließlich können wir uns keinen Fugu leisten.

2 thoughts on “Lob der Panik

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